Crossing Disciplinary Boundaries: Junge Perspektiven auf Interdisziplinarität in der Osteuropaforschung

Crossing Disciplinary Boundaries: Junge Perspektiven auf Interdisziplinarität in der Osteuropaforschung

Organisatoren
Regionalgruppen der Jungen Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, Bamberg-Erlangen und München; Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien, Ludwig-Maximilians-Universität München; Matthias Melcher, Historisches Seminar, Geschichte Ost- und Südosteuropas, Ludwig-Maximilians-Universität München; Magdalena Burger, Institut für Slavistik, Slavische Kunst- und Kulturwissenschaft, Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Ort
Bamberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.01.2022 - 22.01.2022
Url der Konferenzwebsite
Von
Matthias Melcher, Historisches Seminar, Geschichte Ost- und Südosteuropas, Ludwig-Maximilians-Universität München; Magdalena Burger, Institut für Slavistik, Slavische Kunst- und Kulturwissenschaft, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Interdisziplinarität findet sich in der Wissenschaftslandschaft als Buzzword in zahlreichen Projektbeschreibungen und Förderanträgen. Zudem versprechen Masterstudiengänge (vor allem in den Area Studies) genuin interdisziplinäre Studienprogramme, und auch Graduiertenschulen setzen auf den Austausch von Promovierenden unterschiedlicher Disziplinen. Mit dem Workshop stellten die Veranstalter Fragen nach Chancen und Risiken von Interdisziplinarität in der Osteuropaforschung. Darüber hinaus thematisierten sie (inter)disziplinäre Karrierewege und stellten vor allem die Perspektive der Nachwuchswissenschaftler:innen (Promovierende und Post-Docs) in den Vordergrund.

Den Workshop eröffnete eine öffentliche Keynote von ALEXANDER LIBMAN (Berlin) mit Ausführungen zu gesamtwissenschaftlichen Aspekten von Interdisziplinarität und individuellen Karrieren in der Osteuropaforschung. Libman, dem Interdisziplinarität auch ein persönliches Anliegen ist, stellte in seinem Vortrag auf Potenziale und Probleme des interdisziplinären Forschens ab: So könne Interdisziplinarität einerseits Fehlinterpretationen vorbeugen, eine zu starke Bindung an unpassende Konzepte verhindern und komplexe gesellschaftliche Phänomene ganzheitlich analysieren. Andererseits bringe interdisziplinäres Arbeiten auch einige praktische Probleme mit sich, da unterschiedliche Disziplinen auch unterschiedliche Verständnisse von Wissenschaft im Allgemeinen bzw. Forschungsansätzen und akzeptierten Methoden und Untersuchungsgegenständen im Besonderen haben. Dies führe nach Libman dazu, dass vermeintlich interdisziplinäres Arbeiten jenseits von Antragsprosa selten über gegenseitiges Lesen von Texten hinausgehe. In Bezug auf individuelle Karrierewege in der Osteuropaforschung stellte Libman Chancen und Risiken für Forschende gegenüber. Wenngleich interdisziplinäres Arbeiten nach wie vor nicht unbedingt als reputationssteigernd angesehen werden könne und oftmals wenig zur eigenen Mutterdisziplin passender Output generiert werde, überwiegen doch die Chancen: Interdisziplinäre Forschung biete eine einzigartige Möglichkeit, eigene Argumente und Thesen zu schärfen und innovative Forschungsansätze zu denken.

Das erste Panel widmete sich interdisziplinären Karrierewegen und schloss inhaltlich direkt an die Keynote an. MATTHIAS MELCHER (München) und MAGDALENA BURGER (Bamberg) stellten die Ergebnisse einer Umfrage zur Wahrnehmung von Interdisziplinarität und individuellen Karrierewegen in Universität und Beruf vor. Bei den Befragten, von denen – insbesondere in jüngeren Jahrgängen – die Mehrheit bereits interdisziplinär studiert hat, überwog ein positives Bild von interdisziplinärem Arbeiten, wenngleich auch hier das Risiko der Oberflächlichkeit und Beliebigkeit interdisziplinärer Forschung angemerkt wurde. Spezifisch für die Osteuropaforschung als Arealstudium wurde die Bedeutung von interdisziplinärer Forschung als hoch eingeschätzt.

ELISA-MARIA HIEMER (Marburg) ging in ihrem Vortrag über „angewandte“ Literaturwissenschaft, historische Forschung und interdisziplinäre Karrierestrategien zunächst auf die offensichtliche Diskrepanz zwischen den traditionellen universitären Strukturen und den neuen interdisziplinären Studienmöglichkeiten ein. So fände sich interdisziplinäre Forschung oft an außeruniversitären Forschungseinrichtungen wieder, und die Aussichten auf eine (ordinierte) Festanstellung an einer Universität seien für interdisziplinär aufgestellte Post-Docs oft sehr gering. Wie hilfreich Interdisziplinarität für Forschung tatsächlich sein kann, erläuterte Hiemer an ihrem derzeitigen Forschungsprojekt zur Abtreibungsdebatte in der polnischen Zwischenkriegszeit, in dem sie ein literaturwissenschaftliches Instrumentarium auf historische Quellen anwendet.

Im zweiten Panel wurden zwei interdisziplinär angelegte Forschungsprojekte ebenfalls im polnischen Kontext vorgestellt. KATE KONKOL (Bochum) demonstrierte anhand ihrer Masterarbeit zur polnischen Abtreibungsdebatte 2016 aus den Gender Studies, wie qualitative Sozialforschung aus einer postmodernen Perspektive genutzt werden kann, um die komplexen Entwicklungen in spezifischen Regionen interdisziplinär zu verstehen.

Ausgehend von seinem Promotionsprojekt, stellte JOHANNES KLEINMANN (Frankfurt/Oder) fest, dass Interdisziplinarität gleichzeitig notwendig, aber auch eine mögliche Quelle von Unzufriedenheit sei. Erst eine gründliche Selbstreflexion ermögliche es, herauszufinden, welche methodischen und disziplinären Kernkompetenzen für ein Forschungsprojekt relevant seien. Bei diesem Prozess könne ein interdisziplinäres Netzwerk einzelnen Forschenden große Unterstützung bieten.

Die Rolle von Netzwerken und persönlichem Austausch wurde im dritten Panel weiter diskutiert, das sich interdisziplinären Institutionen widmete. RAMONA BECHAUF (Göttingen) unterstrich die Bedeutung von Interdisziplinarität auf interpersoneller Ebene anhand ihres Forschungskollegs „Wissen | Ausstellen“: Erst eine einjährige Diskussions- und Einarbeitungsphase ermöglichte hier eine funktionierende Eigendynamik des interdisziplinären Austauschs. Das Kolleg, das sich aus Promovierenden unterschiedlicher Fächer zusammensetzt und neben einem wissenschaftlichen Teil auch praktische Ansätze integriert, biete ein kollegiales Umfeld und somit einen fruchtbaren Boden für das Wachsen interdisziplinärer Projekte.

FABIAN KÜMMELER (Wien) konnte für seine Promotion im Rahmen des ersten österreichischen Spezialforschungsbereichs in den Geisteswissenschaften ebenfalls vom persönlichen Austausch ohne steile Hierarchien profitieren, wenngleich auch er betonte, dass Interdisziplinarität vor allem Zeit brauche. Wie andere Beitragende stellte er Netzwerke und wiederholte Diskussionen des eigenen Vorhabens in unterschiedlichen (disziplinären) Settings als probate Lösungsansätze für interdisziplinäre Forschung heraus.

Im Fokus des letzten Panels standen (inter)disziplinäre Theorien und Methoden. NICOLAS DREYER (Bamberg) hielt ein Plädoyer für die Relevanz der jüdischen Geschichte in Osteuropa über die Jewish Studies hinaus und argumentierte anhand seines Habilitationsprojekts, welche Bedeutung diesem Thema auch beispielsweise in der Slawistik beigemessen werden sollte. Denn Osteuropa sei ohne Rücksichtnahme auf das dort bis zum Zweiten Weltkrieg und zur Shoa verwurzelte Judentum nicht zu verstehen – weder in der Literaturwissenschaft noch in anderen Disziplinen.

SOPHIE SCHMÄING (Gießen) drehte die Fragestellung um und beleuchtete, wie interdisziplinäre Arealstudien zur Arbeit an Theorien und Methoden in einzelnen Disziplinen beitragen können. So könnten gerade genuin monodisziplinäre Theorien und Hypothesen durch die Konfrontation mit interdisziplinären Forschungssettings robuster gemacht werden und somit Erkenntnisgewinn generieren, was sie an zahlreichen Beispielen aus den Sozialwissenschaften erläuterte.

In der Abschlussdiskussion betonten alle Teilnehmer:innen die Bedeutung von Interdisziplinarität in der zeitgenössischen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einer Region, stellten aber gleichzeitig fest, dass Interdisziplinarität nicht beliebig sein könne, sondern immer an die Mutterdisziplin des jeweiligen Vorhabens angeschlossen sein sollte. Sie unterstrichen auch die Bedeutung von Transparenz (auch im Sinne von progressivem Forschungsdatenmanagement) und die Relevanz von Aushandlungs- und Verständigungsprozessen in interdisziplinären Forschungsprojekten. Einig waren sich die Beitragenden darüber hinaus darin, dass die erhöhten Anforderungen interdisziplinärer Forschung schematische Forschung ausschließe, was spannende Erkenntnisse jenseits ausgetretener Pfade ermögliche, auch wenn dafür die eine oder andere disziplinäre Grenze überschritten werden muss.

Konferenzübersicht:

Begrüßung: Magdalena Burger (Bamberg) / Matthias Melcher (München)

Öffentliche Keynote

Alexander Libman (Berlin): Interdisziplinarität in der Osteuropaforschung: gesamtwissenschaftliche Aspekte und individuelle Karrieren

Panel I: Interdisziplinäre Karrierewege

Magdalena Burger (Bamberg) / Matthias Melcher (München): Grenzgänger:innen? Interdisziplinäre Wege in Universität und Beruf

Elisa-Maria Hiemer (Marburg): „Angewandte“ Literaturwissenschaft und historische Forschung. Interdisziplinarität als Karrierestrategie? Ein Beispiel aus den Polish Studies

Panel II: Interdisziplinäre Forschungsprojekte

Kate Konkol (Bochum): Außenperspektiven. Mit postmodernem Blick und qualitativer Sozialforschung die polnische Abtreibungsdebatte verstehen

Johannes Kleinmann (Frankfurt an der Oder): Interdisziplinarität als Notwendigkeit und Quelle von Unzufriedenheit – Überlegungen am Beispiel meiner Dissertation zur Erwerbstätigkeit polnischer Frauen in der langen Zeit der Transformation

Panel III: Interdisziplinäre Institutionen

Ramona Bechauf (Göttingen): Wissenschaft als Team-Sport: Ein Plädoyer für interdisziplinären Austausch in der Qualifikationsphase

Fabian Kümmeler (Wien): Nichts Halbes, nichts Ganzes? Ein Werkstattrückblick über Sinn und Unsinn des disziplinären Promovierens in interdisziplinären Großprojekten

Panel IV: Interdisziplinäre Zugänge: Theorien und Methoden

Nicolas Dreyer (Bamberg): Jüdische Studien und Slawistik/Osteuropawissenschaft. Interdisziplinarität in slawisch- bzw. osteuropäisch-jüdischer Forschung

Sophie Schmäing (Gießen): Mittendrin statt in between: Problemzentrierte Zugänge zur interdisziplinären und transregionalen Osteuropaforschung

Abschlussdiskussion


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